Erinnerungen an das Frühjahr 1993 – aufgezeichnet von Hans Zaremba
Willy Brandt (1913-1992) war nach 1945 von 1964 bis 1987 der SPD-Bundesvorsitzende mit der bislang längsten Amtszeit. Alle Personen – von Hans-Jochen Vogel (1926-2020) bis zur aktuellen Doppelspitze mit Saskia Esken und Lars Klingbeil -, die dem einstigen Kanzler im SPD-Vorsitz folgten, übten erheblich kürzer diese Funktion aus. Einer von ihnen war Björn Engholm, der 1991 in Bremen auf dem SPD-Parteitag für den aus Altersgründen nicht mehr kandidierenden Hans-Jochen Vogel gewählt wurde.
Hoffnungsträger und Ratlosigkeit
Doch es gab mit dem Lübecker nur eine kurze Phase als SPD-Vorsitzender. Bereits am 3. Mai 1993 trat Björn Engholm als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und SPD-Chef zurück. Ihn hatten die Spätfolgen der Barschel-Affäre ereilt, in deren Verlauf er bespitzelt und verleumdet wurde. Gestolpert war der als Hoffnungsträger seiner Partei geltende SPD-Mann über eine Falschaussage vor dem Barschel-Untersuchungsausschuss aus dem Jahr 1987. Was nach der überraschenden Demission folgte waren zunächst große Ratlosigkeit bei vielen SPD-Spitzenkräften und die erste SPD-Urabstimmung für die Ermittlung einer/eines neuen Vorsitzenden der Sozialdemokratie. Eine echte Urwahl wurde es allerdings nicht, sondern eine Mitgliederbefragung, die jedoch als bindend gelten sollte. Die/der von den Genossinnen und Genossen empfohlene Vorsitzende sollte anschließend auf einem SPD-Parteitag von den Delegierten bestätigt werden, was am 25. Juni 1993 in Essen geschah.
SPD-Wahllokal im Lippstädter Rathaus
Zur Mitgliederabstimmung traten die damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping, und Niedersachsen, Gerhard Schröder, sowie die südhessische Bundestagsabgeordnete Heide Wieczorek-Zeul an. In Lippstadt hatten dazu am Tag der Ortsvereine – Sonntag, 13. Juni 1993 – mehrere SPD-Gliederungen im Rathaus ein gemeinsames Wahllokal eingerichtet. Während bundesweit Rudolf Scharping am Abend die Nase vorne hatte, war es in Lippstadt Gerhard Schröder. Die weitere Geschichte ist schnell erzählt: Die Vorsitzenden-Zeit von Rudolf Scharping war schon im November 1995 beendet und Gerhard Schröder wurde im Herbst 1998 zum Bundeskanzler gewählt.