Von der Rente bis zur Industriepolitik

DGB und SPD wollen Entfremdung überwinden

Einst pflegten der DGB und die SPD eine bevorzugte Partnerschaft – bis sie sich über die „Agenda 2010“ und die Rente mit 67 entfremdeten. Doch inzwischen sind sie wieder enger zusammengerückt, was auch Ende Mai beim öffentlichen Dialogabend des Lippstädter SPD-Ortsvereins „Gewerkschaften und Sozialdemokratie“ mit dem Ersten Bevollmächtigten der Industriegewerkschaft Metall (IGM), Alfons Eilers, und dem Bundestagsabgeordneten aus der SPD, Wolfgang Hellmich, offensichtlich wurde.

Akteure beim Dialog DGB und SPD im Mai 2015:
Von links Moderator Hans-Joachim Kühler, Gewerkschaftler Alfons Eilers, Bundestagsmitglied Wolfgang Hellmich und SPD-Ortsvereinschef Hans Zaremba. Archiv-Foto: Helmut Klemme

Sozialdemokratische Handschrift

Dabei stellte der vor Pfingsten zum Vorsitzenden des Verteidigungsausschuss gewählte Wolfgang Hellmich „die sozialdemokratische Handschrift“ des von seiner Partei eingegangenen Koalitionsvertrages der gegenwärtigen Bundesregierung heraus. Zudem hob er die enge Abstimmung der SPD mit dem DGB beim Zustandekommen des Kataloges für die Legislaturperiode von 2013 bis 2017 hervor. Den gesetzlichen Mindestlohn bezeichnete das Mitglied der SPD und IGM als „historischen Schritt“. Und mit der abschlagsfreien Rente mit 63 habe die SPD „die Lebensleistung nach 45 Arbeitsjahren gewürdigt und etwas mehr an Gerechtigkeit geschaffen“. Klar bekannte er sich für das vom Bundestag beschlossene Tarifeinheitsgesetz, dem er vor dem Aspekt „ein Betrieb und ein Tarifvertrag“ zugestimmt habe und unterstrich. „Dies ist kein Eingriff in das Streik- und Tarifrecht.“

Differenzierte Bewertung

Obwohl auch der Gewerkschaftler Alfons Eilers, vehementer Kritiker der Regierung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, eine Verbesserung der Beziehung zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie einräumte, fiel seine Bewertung der SPD-Politik („Was ist nach der Rente mit 63 und dem Mindestlohn gekommen?“) differenzierter aus. Zudem beklagte der IGM-Funktionär „verschlafene Maßnahmen“ für den Erhalt der Infrastruktur, wo infolge nicht rechtzeitiger Sanierungen von Brücken viele Fahrzeuge nicht bewegt werden könnten und einigen Betrieben die Aufträge wegbrechen würden. Auf die in die Jahre gekommenen Brückenbauwerke in Südwestfalen, von denen auch Lippstadt erheblich betroffen ist, habe der Bund, so Wolfgang Hellmich in seiner Replik, durchaus rasch reagiert und notwendige Mittel zur Verfügung gestellt. Jedoch sei man zwischen Rhein und Weser durch den in den letzten Jahren beim Landesbetrieb Straßen NRW forcierten Abbau von Ingenieurstellen in einer ebenso flinken Umsetzung der Handlungen gehemmt gewesen, „während andere Bundesländer darauf besser vorbereitet waren“.

Drohender Facharbeitermangel

Kritisch betrachtete Alfons Eilers die Entwicklung in der Geldwirtschaft, wo nach der Überwindung der Finanzkrise von 2008 vieles erneut so liefe wie im vergangenen Jahrzehnt und die Banker wieder die umstrittenen Boni-Vergütungen erhielten. Sorge bereiteten ihm auch die Zunahme der Insolvenzen in Nordrhein-Westfalen sowie der ab 2020 drohende Facharbeitermangel und der Wegfall einfacher Arbeitsplätze. Der IG-Metaller vermisste eine vorausschauende Industriepolitik der SPD. Mit ihr hätte man auf die sich länger abzeichnenden Herausforderungen wesentlich früher reagieren können.

Befürchtete Altersarmut

In der vom einstigen Zweiten IGM-Bevollmächtigen und heutigen Seniorenbeauftragten des Lippstädter SPD-Ortsvereins, Hans-Joachim Kühler, geleiteten Zusammenkunft sorgte sich Rainer Henkel, ehemaliger Betriebsrat bei der „Rothen Erde“ in Lippstadt, um die Rentenentwicklung bei fallendem Niveau auf 43 Punkte und „die damit verbundene Altersarmut“. Sie sieht auch Alfons Eilers mit Blick auf die Jahre 2020 bis 2025 „auf uns zurollen“, zumal sich die „Riester-Rente“ als Flop erwiesen habe. Eine Einschätzung, die auch von Wolfgang Hellmich geteilt wurde. Nach seiner Auffassung wären die staatlichen Zulagen, die für die durch Sonderausgabenabzug geförderte, privat finanzierte Rente in Deutschland – kurz „Riester-Rente“ – aufzubringen waren, besser in das bestehende und bewährte Rentensystem geflossen. Für den heimischen SPD-Abgeordneten steht der Bund in der Pflicht, künftig noch mehr über den Haushalt für die Rentenempfänger zu tun, „da es über den bisherigen Weg nicht mehr gehen wird“. Der langjährige Gewerkschaftler Ferdi Rohde aus Anröchte hält eine generelle gesetzliche Versicherungspflicht für alle Erwerbstätigen, die auch die freien Berufe und Beamten einschließt, zwingend geboten. Ebenso unterstrich er die Notwendigkeit der auch von den Gewerkschaften befürworteten Bürgerversicherung.

„Kalte Progression“

Auch die „Kalte Progression“ (bei der Lohnerhöhungen durch den automatischen Anstieg des Steuertarifs „aufgefressen“ werden können – und Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer je nach Inflationshöhe nach der Lohnerhöhung unterm Strich nicht mehr Geld oder sogar weniger haben) war ein Thema beim öffentlichen Dialogabend der Sozialdemokraten im „Alten Brauhaus“. „Da müssen wir ran“, betonte Wolfgang Hellmich, „weil es sozial ungerecht ist, wenn Beschäftigten Lohnzuwächse zu einem größeren Teil wegbesteuert werden“

Quellenangabe

Dieser Beitrag wurde in der am Freitag, 26. Juni 2015, erschienenen Ausgabe 6/2015 der SPD-Publikation Rote Lippe Rose intern von Hans Zaremba veröffentlicht.