Vorübergehend in Schutzhaft

Dr. Claudia Becker über die Gewerkschaften in Lippstadt im Jahr 1933

Von Ende Oktober bis Ende Dezember 2009 fand in Lippstadt eine beachtenswerte Ausstellung zum Thema Nationalsozialismus und freie Gewerkschaften im Lippstädter Stadtmuseum statt. Die Ausstellung setzte sich mit den historischen Ereignissen im Frühjahr 1933 auseinander. Nachdem der 1. Mai von den Nationalsozialisten zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärt worden war, stürmten am folgenden 2. Mai Rollkommandos die Gewerkschaftshäuser und andere Einrichtungen der Arbeiterbewegung. Die Aktion war von langer Hand geplant. Was die Nationalsozialisten mit dem Begriff „Gleichschaltung“ verharmlosten, war nichts anders als die gewaltsame Zerschlagung der demokratischen und freien Arbeiterbewegung. Funktionäre wurden misshandelt, verhaftet und ermordet, die Gewerkschaftshäuser verwüstet und das Gewerkschaftseigentum konfisziert. Zugleich dokumentierte die Ausstellung im Stadtmuseum Lippstadt den Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die nur wenig später in den Ausbruch des 2. Weltkrieges vor 70 Jahren mündete. Unter den damals verfolgten Gewerkschaftlern befand sich mit Paul Schoppe auch ein Sozialdemokrat, der sich nach 1945 und dem Zusammenbruch der Nazi-Schrecknesherrschaft erneut wieder für die Arbeiterbewegung engagierte. Unter anderem tat er dies in den Jahren des Wiederaufbaus als Kassierer des Lippstädter SPD-Ortsvereins. Die Lippstädter Stadtarchivarin Dr. Claudia Becker berichtete zum Ende der Ausstellung in einer Zusammenkunft der Verdi-Senioren über die Ereignisse in Lippstadt von 1933.

Vorübergehend in Schutzhaft
Nach dem Referat von der Stadtarchivarin Dr. Claudia Becker (Dritte von rechts in der vorderen Reihe) fand sich die Verdi-Gruppe zum Erinnerungsfoto im Ausstellungsraum im Lippstädter Stadtmuseum ein. Mit im Bild in der hinteren reihe auch der Leiter des Museums auf dem Lippstädter Marktplatz, Dr. Herbert Pötter, der durch seine Körpergröße alle anderen Personen auf dem Foto überragt. Die weiteren Fotos des nachfolgenden Beitrages auf dieser Seite vermitteln einige Eindrücke der beachtenswerten Ausstellung.

Freie Gewerkschaften und Christliche Gewerkschaften

Zu den Vorgängen um die Gewerkschaften in Lippstadt 1933 liegt nur sehr wenig Material vor. Im Unterschied zu der Ausstellung, die sich vorwiegend mit den Freien Gewerkschaften beschäftigt, werden die folgenden Ausführungen auf die christlichen Gewerkschaften ausgedehnt. Das macht hier auch durchaus Sinn, wie im Weiteren deutlich wird.

Vor 1933 gab es auch hier mehrere Gewerkschaftsrichtungen: die Freien Gewerkschaften, organisiert im ADGB, die der Sozialdemokratie nahestanden, dann die im DGB vereinten christlichen Gewerkschaften, die hier traditionell am stärksten waren, Zentrums-nah und national eingestellt. Hinzu kam noch die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition (RGO) der Kommunisten, die sich vom ADGB abgespalten hatte. Auch sie gab es in Lippstadt, seit 1931. Die nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO), hier seit Ende 1932 bekannt, konnte wie in vielen anderen Städten auch in Lippstädter Betrieben kaum Fuß fassen.


Der ADGB hatte auf Reichsebene bereits Anfang Februar seine politische Neutralität gegenüber der NS-Regierung erklärt. Der DGB bemühte sich im Frühjahr 1933 um eine Annäherung an die Nationalsozialisten, was auch für Lippstadt belegt ist, wie im Weiteren deutlich wird.

Zur unmittelbaren Vorgeschichte des 2. Mai in Lippstadt

Am 21. Februar 1933, gerade einmal drei Wochen nach Hitlers ‚Machtergreifung‘, forderte der hiesige Landrat von den Bürgermeistern als Ortspolizeibehörden des Kreises ’sofort‘ die Anfertigung von Listen, in denen aufzuführen waren 1) die Führer der KPD, 2) die der kommunistischen Nebenorganisationen wie der RGO und 3) die Führer der Freien Gewerkschaften. ‚Die Listen enthalten die Namen nebst Decknamen und Wohnung (auch ggf. Ausweichquartiere).

Ergänzungen und Abänderungen sind laufend einzureichen.‘ Man wollte also stets auf dem aktuellen Stand sein, wo man wen im Falle des Falls auffinden konnte. Die Liste für Lippstadt enthält die Namen von 15 Personen, von denen 7 der Arbeiterbewegung angehörten. Stellvertretend sei hier nur der Leiter des Metallarbeiterverbands Paul Schoppe genannt.


Die Namen der führenden Freien Gewerkschafter Lippstadts waren also im Februar 1933 bereits aktenkundig. Was kann man nun über die christlichen Gewerkschafter zu der Zeit hier sagen? Am 13. April 1933 berichtet der ‚Patriot‘ über eine gut besuchte Versammlung des christlichen Metallarbeiterverbandes im Kolpinghaus. Geschäftsführer Ernst Hamer betonte dabei die Gegnerschaft seines Verbandes zum Marxismus und die Ablehnung des Klassenkampfes und meinte in den Eigenschaften ‚christlich‘ und ’national‘ weitere Übereinstimmungen mit der NS-Regierung zu erkennen. Damit wollte er den christlichen Gewerkschaften ihre Stellung im neuen Deutschland sichern. Dass das keinen Erfolg haben konnte, wissen wir heute in der Rückschau auf die Entwicklung.

Kontake zwischen den Gewerkschaften

Ungeachtet der Gegnerschaft der christlichen Gewerkschaften zum Marxismus, dem die Freien Gewerkschaften zugerechnet wurden, könnte es in Lippstadt doch Kontakte zwischen den beiden Gewerkschaftsrichtungen gegeben haben: Bis Juli 1931 hatte das Arbeitsamt eine Holzbaracke im Garten des Hauses Marktstraße 23 in städtischem Besitz genutzt. Als die Räume dann frei wurden, bemühte sich im September Paul Schoppe für den ADGB um Überlassung eines Raumes für seinen Verband, der in Lippstadt kein eigenes Heim hatte.

Die Baracke sollte als Wärmehalle und Lesezimmer für erwerbslose Verbandsmitglieder dienen. Im Oktober 1931 genehmigte der Magistrat diese Nutzung und übertrug jeweils mietfrei die Baracke an den ADGB und ‚leerstehende Räume im Haus Marktstraße 23‘ an den DGB, die sie dann in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander für etwa 1 ½ Jahre entsprechend genutzt haben.
Dies wurde durch einen Beschluss des Lippstädter Magistrats vom 18. April 1933 abrupt beendet: ‚Die bisher an den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und den Deutschen Gewerkschaftsbund abgegebenen Räume auf dem Grundstück Marktstrasse 23 [sind] diesen Gewerkschaften sofort zu entziehen und einstweilig der NSDAP für die SA und SS zur Verfügung zu stellen.‘

Kündigung ging an Paul Schoppe

Die Räumung wurde vom ADGB gefordert, ‚da sich aus der Benutzung Unzuträglichkeiten ergeben haben‘; dem DGB hingegen wurde mitgeteilt, die Räume würden anderweitig benötigt. In der städtischen Akte heißt es dazu: ‚Es wird mitgeteilt, dass in den Unterkunftsräumen für die Mitglieder der Gewerkschaften auf dem städtischen Grundstücke Marktstrasse 23 Versammlungen von Verbänden abgehalten würden, die nicht hinter der Regierung der nationalen Erhebung stünden.‘ Das städtische Kündigungsschreiben an den ADGB ist gerichtet an Paul Schoppe, das an den DGB gegengezeichnet von einem Herrn Woestmann. – Die Holzbaracke wurde dann ab 1.5.1933 (!) der NSBO zur Verfügung gestellt. Wozu die sie dann benutzte, wird gleich noch zu erwähnen sein.

Beschlagnahmungen

Schon vor Mai 1933 sind also erste Maßnahmen gegen Gewerkschaften in Lippstadt nachzuweisen: Die Auflistung der Verantwortlichen der Freien Gewerkschaften einerseits und die Kündigung der von verschiedenen Gewerkschaften genutzten Räume in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander andererseits. Die christlichen Gewerkschaften nutzten außerdem fünf Räume im Kolpinghaus. Diese wurden ebenfalls 1933 beschlagnahmt. Es war zwar nicht mehr zu ermitteln, wann genau, aber immerhin diente auch diese Maßnahme wieder der Zerschlagung bestehender Strukturen gewerkschaftlicher Arbeit.

Die Vorgänge im Mai 1933 in Lippstadt

Am 10. April ’33 wurde per Reichsgesetz der 1. Mai zum nationalen Feiertag mit allgemeiner Lohnfortzahlung erhoben. Damit ging eine alte Forderung der Gewerkschaften in Erfüllung, die ihre Mitglieder zur Beteiligung aufforderten. Der Ablauf der Feier war bis ins Kleinste durchorganisiert, sie sollte eine Demonstration der Geschlossenheit der Volksgemeinschaft werden. Die Lokalzeitungen brachten eine ‚Aufmarschordnung‘ für den großen Festmarsch, der von der SA angeführt und von der SS abgeschlossen wurde. Dazwischen hatten sich die einzelnen Berufsgruppen einzuordnen in der Folge Arbeiter und Angestellte, Beamte, Handel und Gewerbe, Landwirtschaft und freie Berufe; ihnen folgten dann noch gemeldete Vereine und nationalsozialistische Jugendverbände. Die Aufmarschleitung hatte Carl Sattler, der vielen von Ihnen wahrscheinlich ein Begriff ist (Chef der SS und Polizeikommissar in Lippstadt, ab 1.4.1934 SS-Standartenführer in Bochum. Cappelstraße = Carl-Sattler-Str.). Der große Festmarsch mit genau festgelegter Reihenfolge endete auf dem Schützenplatz, wo es, wie man in der Zeitung lesen kann, auch Kinderbelustigung, Musik und Unterhaltung gab und die Biertheke gut besucht war.

Schlag der Nazis

Gerade nach solchen Feierlichkeiten rechnete kaum jemand mit einem Schlag, wie er am 2. Mai morgens um 10 Uhr im ganzen Reich erfolgte: Die Häuser der Freien Gewerkschaften wurden von SA und NSBO besetzt, ihre Leiter wie auch die der angeschlossenen Verbände und der Gewerkschaftszeitungen gefangen genommen, die Vermögen eingezogen.

Was passierte an jenem Dienstag, den 2. Mai 1933 in Lippstadt? Wir wissen es nicht. Die Zeitungen berichten am folgenden Tag zwar von der Aktion gegen die Freien Gewerkschaften im Reich, aber nicht am Ort. Statt dessen wird immer wieder auf die beeindruckenden Maifeiern im Kreisgebiet Bezug genommen.

Erst am Samstag, den 6. Mai liest man in der Lokalpresse in der Rubrik ‚Aus der Heimat‘ einen Artikel dazu.. Unter dem Titel ‚Gleichschaltung der Gewerkschaften‘ nach einer Mitteilung der örtlichen NSBO-Kreisleitung hieß es, diese habe ‚die erforderlichen Schritte zur Gleichschaltung der Gewerkschaften unternommen. Um die Mitglieder der Gewerkschaften vor Schaden zu bewahren, wurden die gesamten Unterlagen der Gewerkschaften sichergestellt. Die Unterlagen werden restlos genauestens geprüft und das Prüfungsergebnis alsdann bekanntgegeben. Die NSBO richtet ab Montag, 8. Mai 1933, tägliche Sprechstunden ein und zwar vorläufig täglich von 5-7 Uhr nachmittags. Das Geschäftszimmer der NSBO befindet sich im früheren Arbeitsamt Marktstraße 23. Dafür wurden also die ehemals an ADGB und DGB vergebenen Räume nun genutzt.

Weiter heißt es in dem Artikel u.a., es wird durch alle Maßnahmen versucht, der Arbeiterschaft möglichst viel aus dem Zusammenbruch der früheren Gewerkschaften zu retten ‚ Wirklich viel erfährt man über die Vorgänge in Lippstadt nicht. Wie auch anderenorts hat man vorhandenes Vermögen eingezogen, angeblich um es den Arbeitern wieder zukommen zu lassen. Außerdem wurden Unterlagen sicher gestellt. Auch dies ist ein immer wieder kehrendes Instrument der NS-Propaganda. Denn in solchen Dokumenten wurden immer Unstimmigkeiten, Betrügereien und Korruption festgestellt, was natürlich von unabhängiger Stelle nicht mehr nachgeprüft werden konnte. Aber dies bot eben ein weiteres Argument zur Rechtfertigung des Vorgehens hier gegen die vom Staat unabhängigen Arbeiternehmervereinigungen. Es fällt allerdings auf, dass die Aktionen hier nicht ausdrücklich auf die Freien Gewerkschaften beschränkt waren.

Pressebericht über Festnahmen

Auf den Bericht in der ‚Lippstädter Zeitung‘ vom 6. Mai ’33 folgt ein kleiner, aber sehr wichtiger Artikel: ‚Festgenommen wegen Verdunkelungsgefahr wurden gestern Morgen die bei den christlichen Gewerkschaften beschäftigten Herren Hamer, Walter, Goebel und Woestmann. Die Inhaftierten stehen im Verdacht der Aktenbeseitigung.‘

Die kleine Meldung über die Verhaftung der vier Gewerkschafter erschien im ‚Patriot‘ erst zwei Tage später, am Montag, den 8. Mai. Der Bericht ist dort überschrieben ‚Vorübergehend in Schutzhaft genommen‘. Hier fehlt jegliche Begründung für die Verhaftungen, es wird aber deutlich, welche Funktionen die Betroffenen innehatten. Demnach war Hamer Gewerkschaftssekretär, die drei anderen Vertrauensleute der christlichen Gewerkschaften. Und man erfährt noch, dass sie am folgenden Tag wieder aus der Schutzhaft entlassen worden waren.

Exkurs zum Begriff der ‚Schutzhaft‘

Vom Wort her könnte man meinen, es handele sich um den Gewahrsam einer Person zu ihrem eigenen Schutz. In der NS-Zeit bedeutete Schutzhaft jedoch den Schutz des Regimes vor seinen echten oder vermeintlichen Gegnern. Seit der sog. ‚Verordnung zum Schutz von Volk und Staat‘ (‚Reichstagsbrandverordnung‘) vom Februar 1933 war die Schutzhaft das Willkürinstrument der Nationalsozialisten, gegen das es keinerlei rechtliche Möglichkeiten gab.

Einen Eindruck davon, was Schutzhaft 1933 bedeuten konnte, vermittelt eine kleine Meldung im ‚Patriot‘ vom 3. Mai ’33. Er hat nichts mit Gewerkschaften zu tun, sei hier aber wegen der zeitlichen Nähe hier trotzdem zitiert: ‚Der Bürgermeister des Amtes Bockum-Hövel … war in Schutzhaft genommen worden; nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft hat er sich dann im Heessener Wald erschossen.‘ Das so etwas harmlos klingende ‚vorübergehend In Schutzhaft genommen‘ musste also nicht heißen, dass danach ‚alles vorüber‘ im Sinne von ‚alles wieder in Ordnung‘ war.

Gute Recherche:
Dr. Claudia Becker hatte für ihr Referat viele Details über die Vorgänge von 1933 in Lippstadt zusammengetragen.

Die Lippstädter Schutzhäftlinge vom Mai 1933

Wer waren nun die vier christlichen Gewerkschafter, die in Lippstadt am 5. Mai in Schutzhaft genommen wurden? Herr Walter war bislang nicht zu identifizieren, Bei Herrn Goebel könnte es sich um Josef Goebel handeln, Schlosser und 1933 Stadtverordneter der Zentrumspartei. Die beiden anderen aber sind sicher zu identifizieren: Ernst Hamer war seit spätestens 1927 Gewerkschaftssekretär, der, wie geschildert, noch im März 1933 angebliche Gemeinsamkeiten mit der NS-Regierung zu erkennen meinte. Er wurde nun eines Besseren belehrt. Was man konkret gegen ihn vorzubringen hatte (abgesehen von dem zumindest fragwürdigen Vorwurf der Aktenbeseitigung), ist wohl aus seiner Verbindung zu dem 4. Genannten, Herrn Woestmann zu ersehen. Er hatte am 19. April 1933 die Kündigung der Räume im Haus Marktstraße 23 durch die Stadt für den DGB gegengezeichnet. Theodor Woestmann hatte seit 1908 der Zentrumspartei angehört und war für sie Stadtverordneter in Lippstadt; er war gelernter Schlosser, aber seit 1930 als Hilfsbote für die Stadt tätig gewesen. Aus diesem Amt wollte man ihn im April 1933 erst ganz ohne, dann mit wechselnden Begründungen entlassen. Hintergrund war natürlich seine in den Augen der Nationalsozialisten politische Unzuverlässigkeit als Zentrumsmann und Gewerkschafter.

Theodor Woestmann klagte darauf beim Arbeitsgericht in Paderborn auf Rücknahme der Kündigung. Sein Rechtsvertreter dort war Ernst Hamer. Dabei behauptete die Stadt zum Einen, erforderliche Einsparungen dadurch vorzunehmen, dass sie Festangestellte wie Woestmann durch Wohlfahrtserwerbslose ersetzte, die geringer entlohnt wurden. Außerdem behauptete man, es seien Klagen darüber laut geworden, dass Woestmann … jahrelang in diesem Dienstverhältnis [2 ¼ Jahre!] geblieben wäre, obwohl viele andere Familienväter, die seit Jahren erwerbslos wären, und insbesondere kinderreiche Väter darauf gewartet hätte[n], auch einmal in einen solchen Posten berufen zu werden.‘ Es gab noch andere Gründe, wie sie sich denken können. Einer hieß natürlich politische Unzuverlässigkeit auf Grundlage des ‚Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ vom 7. April 1933 wegen der Mitgliedschaft im Zentrum seit 1908. Man warf Woestmann außerdem eine Mitgliedschaft im Reichsbanner schwarz-rot-gold vor, in dem er wohl tatsächlich um 1925 tätig gewesen war. [bewaffneter Wachdienst im Kolpinghaus bei der Reichspräsidentenwahl 1932].

Die Anwendung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war allerdings problematisch, was auch der Stadt bewusst war. Denn das Gesetz war am 7. April in Kraft getreten, Woestmann aber bereits am 1. April entlassen worden. Gegen einen außergerichtlichen Vergleich Anfang Mai, nach dem die Kündigung bestehen bleiben und Woestmann eine Art Abfindung von 100 Reichsmark erhalten sollte, wehrte sich Woestmann massiv. Der Vergleich sei unter falschen Voraussetzungen zustande gekommen. Die Stadt hatte gesagt, seine Stelle fiele aus Kostengründen weg, tatsächlich war sie bereits zwei Tage später neu besetzt. Übrigens keineswegs ein kinderreicher Familienvater, sondern ein Unverheirateter, aber wohl PG. Da Einsprüche an die Stadt keinen Erfolg brachten, wandte sich Woestmann am 14. Mai 1933 an den Reichsarbeitsminister und am 28. Mai an Reichspräsident von Hindenburg. Darin formuliert er u.a. die bittere Erkenntnis: ’12 Jahre habe ich als christlich Organisierter den Kampf gegen den Marxismus geführt. Nun muß man als nicht national zuverlässig die Stellung aufgeben und man wird um Brot und Arbeit gebracht‘. Er weist darauf hin, dass er aktiver Kriegsteilnehmer gewesen und nun Vater von drei Kindern sei, die er versorgen müsse. Woestmann hat sich also auch durch die Schutzhaft nicht mundtot machen lassen. Erfolg hatte er natürlich nicht. Die Streitsache wurde auf dem Dienstweg von oben nach unten an die Stadt weiter gereicht, wo sie dann endgültig abgewiesen wurde. Sie fällt aber genau in die Zeit um Anfang Mai 1933, um die es hier geht.

Beeindruckt:
Dies war Renate Kuttig von den Verdi-Senioren, als sie sich bei Dr. Claudia Becker für den engagierten Vortrag bedankte.
Archiv-Fotos (11): Hans Zaremba

Maßnahmen gegen Gewerkschaftler

Es hat also in Lippstadt im Umfeld des 2. Mai ’33 nachweislich Maßnahmen gegen Gewerkschafter gegeben hat, aber Einzelheiten sind nur zu Vertretern christlicher Gewerkschaften bekannt. Dagegen erfährt man zu den Freien hier nichts Konkretes. Allgemein heißt es in der Literatur, die Aktion hätte sich gegen die Freien gerichtet, die dem Marxismus zugeordnet wurden. Dagegen wird selbst Dr. Ley, Chef der DAF, nach einem Presseartikel vom 3. Mai ’33 über die christlichen und anderen Gewerkschaften mit den Worten zitiert: ‚Sie werden sich von selbst gleichschalten. … Hier sind keine Gewaltaktionen nötig.‘ Das scheint für Lippstadt so nicht zu gelten. Ausschlaggebend mochte die traditionell starke Stellung der christlichen Gewerkschaften gewesen sein, vielleicht auch Kontakte, die man bei dem gemeinsam genutzten Grundstück in der Marktstraße annehmen kann. Mit Ernst Hamer und Theodor Woestmann hatten zwei führende Angehörige der christlichen Gewerkschaften den neuen Herren in Lippstadt nachweislich gleich mehrere Gründe geliefert, sie durch Schutzhaft einzuschüchtern. Wohl deswegen ist man hier bei der ‚günstigen‘ Gelegenheit – eben der reichsweiten Aktion gegen die Freien Gewerkschaften – hier auch gleich gegen einige besonders unliebsame Mitglieder der Christlichen vorgegangen, auch wenn das so eigentlich gar nicht vorgesehen war.

Weiteres zu Gewerkschaften in Lippstadt 1933

Ungeachtet der Maßnahme gegen die christlichen Gewerkschaften hat es diese im Juni 1933 in Lippstadt noch gegeben. Der ‚Patriot‘ vom 22. berichtet über eine Versammlung im Kolpingsaal am vorangegangenen Sonntag. Dort sprach allerdings zuerst der Kreisleiter der NSBO, der erklärte, es werde künftig nur noch eine große Einheitsgewerkschaft [eben die Deutsche Arbeitsfront] geben. Der christliche Gewerkschaftsführer [leider ohne Namen!] erklärte, Form und Namen der christlichen und anderen Gewerkschaften würden verschwinden, ihre Ziele und Aufgaben aber gleich bleiben. Die Arbeitsfront sei christlich, national und sozial, was schon immer auch die drei Säulen der christlichen Gewerkschaften gewesen seien. Deshalb wolle man künftig dort – in der DAF – mitarbeiten, gegen den Geist des Klassenkampfes. Etwas Anderes blieb ihnen sowieso nicht übrig.

Hier nun fügen sich die Vorgänge in Lippstadt zeitlich wieder in die allgemeine Entwicklung ein. Denn jetzt, im späten Juni 1933, werden die christlichen Gewerkschaften wie überall im Reich in die Deutsche Arbeitsfront überführt. Dass es zu dieser Zeit überhaupt noch eine Versammlung christlicher Gewerkschafter hier geben konnte, bestärkt mich in meiner Annahme, dass die gewaltsame Aktion gegen die genannten Vier Anfang Mai so nicht geplant gewesen sein kann und, wie beschrieben, besondere Gründe hatte.
Dass es 1933 auch Maßnahmen gegen Angehörige der Freien Gewerkschaften in Lippstadt gegeben hat, ist zumindest indirekt belegt. In den Zeitungen steht darüber nichts, aber nach einer städtischen Akte wurde am 5.10.1933 der Polizeiverwaltung in Lippstadt bekannt, ‚dass der frühere Geschäftsführer des Sozialdemokratisch-Deutschen Metallarbeiterverbandes und Gewerkschaftsbundes Paul Schoppe noch Barvermögen der obengenannten Verbände verheimlicht habe. Am gleichen Tage konnte durch die polizeiliche Vernehmung des Schoppe festgestellt werden, dass derselbe noch ein Vermögen von 890,61 RM im Besitz hatte. Das fragliche Vermögen wurde [sogleich] beschlagnahmt und in polizeiliche Verwahrung genommen.‘ Das Geld ging dann im Februar 1934 an die NSBO. Mehr erfährt man nicht. Dies ist bislang die einzige heute noch nachweisbare Polizeiaktion gegen einen freien Gewerkschafter in Lippstadt 1933.


Dass es gerechtfertigt war, in einer Ausstellung zu den Freien Gewerkschaften auch die christlichen mit in den Blick zu nehmen, ist gerade auch an der Person des Theodor Woestmann, Vertrauensmann der ‚Christlichen‘ und Schutzhäftling 1933 deutlich zu machen. Denn er bildet gewissermaßen eine Brücke zwischen den ehemals unterschiedlichen Gewerkschaftsrichtungen: Im März 1969 veröffentlichte die IG Metall, Ortsverwaltung Lippstadt, im ‚Patriot‘ folgende Anzeige: ‚Am 22. März 1969 verstarb Theodor Woestmann, Geschäftsführer der IG Metall von 1945 bis 1957 im Alter von 77 Jahren. Der Verstorbene stand seit 1905 in den Reihen der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 stellte er sich sofort für den Wiederaufbau der Gewerkschaften zur Verfügung. Die örtliche Gewerkschaftsbewegung hat Theodor Woestmann viel zu verdanken. Sie wird ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.‘

Quellenangabe

Dieser Beitrag wurde aufgrund des in kursiver Schrift notierten Referates von Dr. Claudia Becker am 20. Dezember 2009 für das Internet von Hans Zaremba veröffentlicht.