Hans-Jürgen Wischnewski 1985 in Lippstadt
Lange war es in Lippstadt eine bewährte Tradition, für die Herbstwoche einen prominenten Schirmherrn außerhalb der eigenen Stadtmauern zu gewinnen. So haben diese Aufgabe aus der Sozialdemokratie unter anderem die Bundestagspräsidentin von 1972 bis 1976, Annemarie Renger (+), 1976 und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen von 1978 bis 1998, Johannes Rau (+), 1979 wahrgenommen. Als Lippstadt im Jahr 1985 sein 800jähriges Stadtjubiläum beging, lag das Vorschlagsrecht für die Schirmherrschaft wieder bei der SPD. Mit dem ehemaligen Bundesminister Hans-Jürgen Wischnewski konnten die Sozialdemokaten für diese ehrenvolle Aufgabe eine interessante und verdiente Persönlichkeit an die Lippe holen.
Kontakt
Die Zeitung „Der Patriot“ berichtet dazu in seiner Ausgabe am Montag, 21. Oktober 1985: „Als vorläufigen Höhepunkt im Jubiläumsjahr apostrophierte Werner Brunswieck, Vorsitzender des Städtischen Verkehrsvereins, die 59. Herbstwoche, zu der er zahlreiche Gäste aus nah und fern willkommen hieß. Allen voran den Schirmherrn dieses Jahres, Hans-Jürgen Wischnewski, der Lippstadt trotz zahlreicher politischer Verpflichtungen an den Brennpunkten unserer Welt die Ehre des Besuchs gegeben habe.“ Über die Rede des Gastes aus Bonn schreibt das Blatt vom Wasserturm: „Mit der Routine des sprachgewandten Welt-Politikers verstand es Hans-Jürgen Wischnewski schnell, bei den Zuhörern im restlos besetzten Theater Kontakt herzustellen.“
Laufbahn
Der am 24. Juli 1922 in Allenstein (Ostpreußen) geborene und am 24. Februar 2005 in Köln verstorbene Hans-Jürgen Wischnewski gehörte von 1957 bis 1990 dem Bundestag an. In seiner langen politischen Laufbahn füllte er viele Ämter in der Bundesregierung (Entwicklungshilfeminister von 1966 bis 1968, Staatsminister im Auswärtigen Amt von 1974 bis 1976 sowie im Bundeskanzleramt 1976 bis 1979 und erneut von April 1982 bis Oktober 1992) aus. Durch seine guten Verbindungen in den arabischen Raum bekam er von Willy Brandt den Spitznamen „Ben Wisch„. Einer größeren Öffentlichkeit wurde er im Oktober 1977 durch seine Verhandlungen in Mogadischu (Somalia) bekannt, wo er es schaffte, dass die auf einem Flug von Mallorca nach Deutschland entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch den Bundesgrenzschutz gestürmt und die Passagiere befreit werden konnten.
Sonderbeauftragter
Über die schwierigen Verhandlungen am Horn von Afrika wollten natürlich auch seine heimischen SPD-Parteifreunde mehr wissen, die den prominenten Sozialdemokraten im Anschluss an die offizielle Eröffnung der Herbstwoche und den folgenden Empfang im Rathaus zu einer von ihnen im damaligen Hotel „Schweizer Hof“ in der Hospitalstrasse ausgerichteten gemütlichen Runde begleiteten. In seiner ihm eigenen Art berichtete Hans-Jürgen Wischnewski über die dramatischen Vorgänge aus dem Herbst 1977. Seiner Mission in der ostafrikanischen Stadt war die im September durch die Terrorgruppe „Rote Armee Fraktion“ brutal erwirkte Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer und weitere Terroranschläge vorausgegangen. Als Sonderbeauftragter der Bundesregierung führte er im Auftrag des Kanzlers Helmut Schmidt an den Flughäfen, wo die von den palästinischen Terroristen gekaperte „Landshut“ gelandet war, Gespräche mit den lokalen Behörden. In Mogadischu erreichte er es schließlich, dass die Sondereinheit GSG (Grenzschutzgruppe) 9 das Flugzeug attackieren und die Geiseln retten konnte.
Parteisoldat
Auch als Parteisoldat der Sozialdemokratie hat sich Hans-Jürgen Wischnewski vielfältige Verdienste erworben. Seit 1946 gehörte er der SPD an. Von 1957 bis 1968 diente er ihr als Unterbezirkschef in Köln und von 1959 bis 1961 als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Als Bundesgeschäftsführer der SPD fungierte er von 1968 bis 1972 und war ab 1970 auch Mitglied im SPD-Parteivorstand. Zudem war er von 1979 bis 1982 ihr stellvertretender Bundesvorsitzender und in 1984/85 Bundesschatzmeister. Durch die mit dem konstruktiven Misstrauensvotum vom 1. Oktober 1982 erfolgte Abwahl von Bundeskanzler Helmut Schmidt und die verlorene Bundestagswahl am 6. März 1983 befand sich die SPD im Umbruch. Auf den langjährigen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, war Hans-Jochen Vogel gefolgt und auch das Ende des Parteivorsitzes für Willy Brandt zeichnete sich ab. Auch aus dieser Phase schilderte „Ben Wisch“ vor drei Jahrzehnten bei reichlich Kaffee und Cognac bis spät in die Nacht seinen Gastgeberinnen und Gastgebern aus der Sozialdemokratie in Lippstadt im heute leer stehenden „Schweizer Hof“ etliche bemerkenswerte Geschehnisse und manche interessante witzige Geschichten.
Quellenangabe
Dieser Beitrag wurde am Freitag, 23. Oktober 2015, von Hans Zaremba für die lokalen Printmedien und das Internet veröffentlicht.