Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Sicherheitspolitik
Als die Bundeswehr im Jahr 2006 ihr letztes Weißbuch vorgestellt hat, lagen die Schwerpunkte auf den Auslandseinsätzen in Afghanistan. Jetzt, neun Jahre später, geht es mehr um Sicherheits- und Verteidigungsstrategien. Dieser Aspekt zog sich am Mittwochabend wie ein roter Faden durch das gesamte von der Friedrich-Ebert-Stiftung im „Kasino“ ausgerichtete öffentliche Forum mit der zutreffenden Überschrift „Die Welt ist aus den Fugen“.
Russland
Walter Kolbow, von 1980 bis 2009 Bundestagsmitglied und insbesondere durch seine Zeit von 1998 bis 2005 als Parlamentarischer Staatsekretär beim Bundesminister für Verteidigung ein ausgewiesener Fachmann, oblag es, das für 2016 Jahr geplante Weißbuch der Bundeswehr und die Wehrverfassung aus 1955 zu analysieren. Der in Würzburg beheimatete Sozialdemokrat erwartet vom neuen Weißbuch Antworten auf die in den vergangenen zehn Jahren verwandelte Situation in der Welt. „Die deutsche Sicherheitspolitik muss darauf neu ausgerichtet werden.“ Ein Schwerpunkt im Weißbuch 2016 werde die Haltung zu Russland sein, in 2006 wurde Russland noch als „herausgehobener Partner“ bezeichnet. Doch durch die Ukrainekrise und die von den Russen verfügte Einverleibung der Krim in ihr Staatsgebiet hätte sich die Lage verändert. Daraus abgeleitete Besorgnisse habe er verstärkt im Baltikum und in Polen festgestellt. „Mit Wladimir Putin ist Russland nicht mehr der Staat, der er noch mit Michail Gorbatschow und Boris Jelzin war. Dies müssen wir einbeziehen.“ Ebenso griff der Ex-Staatssekretär die Frage auf, „ob die Wehrverfassung von 1955 für 2015 noch ausreicht“. Vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen der Bundeswehr hob Kolbow hervor: „Es geht darum, für die Verbündeten eine Verlässlichkeit herzustellen.“
Europa
Thomas Sohst, pensionierter Oberstleutnant und Landesvorsitzender West des Deutschen BundeswehrVerbandes, prüfte in seinen Ausführungen den Komplex: „Bundeswehr wofür?“ und bezog sich auch auf die Wehrverfassung von 1955. „Die Sicherheitspolitik Deutschlands hat durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr eine neue Dimension erhalten“, betonte der Soldat außer Dienst und durch „die asymmetrische Bedrohung bis hin zu Cybergefahren“ habe sich der Sicherheitsbegriff ausgeweitet. Mit Blick auf das Vorhaben, eine europäische Armee zu gründen, was vom Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Wolfgang Hellmich aus Bad Sassendorf, aufs Tapet gebracht wurde, gab sich der Repräsentant der Interessenvertretung der Soldaten und zivilen Kräfte der Bundeswehr verhalten: „Mir – als Gewerkschaftler – wird zu wenig von den Menschen gesprochen, die in den europäischen Streitkräften dienen sollen.“ Überdies vermisse er Aussagen zum Koalitionsrecht (Möglichkeit zur gewerkschaftlichen Bindung) und eines europäischen Wehrbeauftragten, der über die Einhaltung der Rechte der Soldaten wache. Zweifel seien angesichts der momentan erlebten Bereitschaft in den Ländern Europas, auf anderen Gebieten europäisch zu denken, gegeben, inwieweit die Nationalstaaten für eine gemeinsame europäische Armee ihre Souveränitätsrechte aufgeben würden.
Afghanistan
Auf 60 erfolgreiche Jahre der Bundeswehr blickte der Parlamentarier Wolfgang Hellmich als Moderator des Abends in seiner Betrachtung „Neue Herausforderung für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Auch er sprach über die veränderte Aufgabenstellung der deutschen Armee, die sich nach der Wiedervereinigung mit den Einsätzen im Ausland ergeben habe. Zugleich streifte er die aktuellen Konstellationen in Syrien und Afghanistan, durch die Bundeswehr vor neuen Herausforderungen stehe. Und in der anschließenden lebhaften Debatte, die von etlichen kritischen Beiträgen zum internationalen Bundeswehr-Engagement begleitet wurde, ging es auch um das Schicksal jener Menschen aus Afghanistan, die als Helfer der Bundeswehr zu Diensten waren. Ihnen, Dolmetscher, Fahrer oder Boten, droht nach dem Abzug der Deutschen aus dem Camp Marmal bei Masar-i-Sharif nun die Verfolgung durch die Taliban. Bislang sollen knapp 1.400 Ausreisanträge der lokalen Ortskräfte bei der Bundeswehr registriert worden sein, weniger als 40 Prozent habe die Bundesregierung bislang anerkannt. Ein Problem, dem sich der heimische Abgeordnete widmen werde.
Quellenangabe
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 8. Oktober 2015, für das Internet und die lokalen Printmedien von Hans Zaremba veröffentlicht.