Wenn am kommenden Montag, 3. November, in der konstituierenden Sitzung des im September gewählten Stadtrates auch die Bestimmung der Ortsvorsteher auf der Tagesordnung steht, dann werden sich noch einige Zeitzeugen an die heftige Debatte vor 50 Jahren zur Frage „Bezirksausschüsse oder Ortsvorsteher“ erinnern. Im Zuge der Gebietsreform von 1975 hatte der Stadtrat darüber zu befinden, wie am besten die Integration der bis Ende 1974 selbständigen Gemeinden Benninghausen, Bökenförde, Cappel, Dedinghausen, Eickelborn, Esbeck, Garfeln, Hellinghausen, Herringhausen, Hörste, Lipperode, Lohe, Overhagen, Rebbeke und Rixbeck sowie Teile von Liesborn (Bad Waldliesborn) und Ermsinghausen (Gut Schwarzenraben) in die neue Stadt Lippstadt erfolgen könne.
Hans Zaremba über ein strittiges Thema in 1975

Wahlprogramme
Noch vor der ersten Ratswahl nach der kommunalen Neuordnung im Mai 1975 bestand zwischen den damals im Lippstädter Rat vertretenen Parteien von CDU, SPD und FDP breites Einvernehmen, für die neuen Ortsteile jeweils Bezirksausschüsse einzurichten. Die Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, die für alle Kommunen des Landes zwischen Rhein und Weser gilt, sieht vor, dass das Gemeindegebiet in Bezirke (Ortschaften) eingeteilt werden kann. „Dabei ist auf die Siedlungsstruktur, die Bevölkerungsverteilung und Ziele der Gemeindeentwicklung Rücksicht zu nehmen“, wird dazu wörtlich ausgeführt. Und darüber hinaus gibt die rechtliche Regelung vor: „Für jeden Gemeindebezirk sind vom Rat entweder Bezirksausschüsse zu bilden oder Ortsvorsteher zu wählen.“ Übrigens ein Thema mit dem sich in 1972 der Jurist und spätere Präsident von Borussia Dortmund, Reinhard Rauball (SPD), in seiner Dissertation „Die Gemeindebezirke, Bezirksausschüsse und Ortsvorsteher“ zur Erlangung des Doktorgrades befasste. Die Lippstädter Sozialdemokratie hatte sich in ihrer Kampagne für die erste Wahl des Rates der zum 1. Januar 1975 neu gebildeten Stadt Lippstadt nachdrücklich für die Bildung von Bezirksausschüssen ausgesprochen, da sie auf den kommunalpolitischen Sachverstand der ehemaligen Mitglieder aus den einstigen Gemeinderäten nicht verzichten wollte. Durch Bezirksausschüsse sei gewährleistet, dass in ihnen mehrere Parteien vertreten seien, die Einrichtung von Ortsvorsteher in den dörflichen Stadtteilen bestehe hingegen nur aus einer Person. Positionen, die in den Monaten des Werbens der Parteien um die Stimmen für das Gebilde des Lippstädter Rates in seiner Periode von 1975 bis 1979 gleichfalls aus der Union sowie der FDP zu vernehmen waren.

Archiv-Fotos (2): Sammlung Hans Zaremba
Bürgermitwirkung
Darauf hob der damalige Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, Werner Franke (1928-2006) ab, als vor fünf Jahrzehnten die Frage „Bezirksausschüsse oder Ortsvorsteher“ auf der Tagesordnung stand. Ebenso sei der Informationsfluss zwischen Rat und Stadtbezirk sowie den Bürgern bei der Bildung von Bezirksausschüssen im höheren Maße gegeben. Und nach der Gemeindeordnung wäre überdies eine breitere Basis für die Mitwirkung der Bürger vorhanden, fügte der SPD-Vormann im Stadtrat hinzu. Seine Partei, so der Ratsherr der in 1975 aus 20 Personen bestehenden SPD-Riege, betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, dass gegebene Wahlversprechen für Bezirksausschüsse einzuhalten. Der Union hielt er ein „seltsames Demokratieverständnis“ vor, da sie nach der Konstituierung des neuen Rates im Mai 1975 ihre Position grundlegend änderte. Den CDU-Sinneswandel begründete ihr seinerzeitiger Fraktionschef Kurt Landgräber (1927-2017) mit den Kosten für die Schaffung von Bezirksausschüssen, wo eine Summe von jährlich 75.000 DM genannt wurde, während die Berufung von Ortsvorstehern lediglich 30.000 DM verursachen würde. Zugleich fügte er die Mehrbelastung für die Verwaltung an, wenn sich der Rat für die Installierung von Bezirksausschüssen ausspreche. Argumente, die zuvor in der Ratssitzung im Juli 1975 auch vom Stadtdirektor Friedrich Wilhelm Herhaus (1927-2014) bei der Einbringung der Vorlage für die Gestaltung der Hauptsatzung aufgegriffen wurden. Schließlich setzte sich die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit von 28 Sitzen in den 51 Personen umfassenden Stadtrat die Berufung von Ortsvorstehern durch, während die SPD (20 Mandate) und die FDP (drei Ratsmitglieder) diese Entscheidung ablehnten. Dass auch Städte von der Größe von Lippstadt über Bezirksausschüsse verfügen, belegt Arnsberg mit seinen knapp 75.000 Einwohnern, wo sich diese Regelung seit über fünf Jahrzehnten bewährt hat und genauso in der neuen Ratsperiode von 2025 bis 2030 bestehen wird. Durch die aktuelle Situation in Lippstadt, wo es Ortsvorsteher lediglich in den dörflich strukturierten Stadtteilen mit ihren insgesamt 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner gibt, in der Kernstadt mit den dort lebenden 40.000 Bürgerinnen und Bürger hingegen nicht, besteht in der größten Stadt im Kreisgebiet ein gespaltenes Ortsrecht. Während sich die Ortsvorsteher verschiedentlich mit der Verwaltung zu Sitzungen treffen, um Entwicklung und auch „Ärgernisse“ zu erörtern, sind zwar die Dörfer mit ihren Vorleuten in diesen Runden vertreten, die Kernstadt jedoch nicht. Versuche wie im Frühjahr 2009, gleichfalls in der Kernstadt Ortsvorsteher zu installieren, blieben im Ansatz stecken, obwohl eine Ausweitung der Hauptsatzung durchaus rechtlich möglich ist. In vergleichbar großen Kommunen wie Detmold, Viersen und Unna gibt es Ortsvorsteher sowohl in den dörflichen Stadtteilen als auch in dortigen städtisch ausgerichteten Quartieren.


